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Wie man ewig Suchender wird (und bleibt)

Aktuell machen sich immer mehr Menschen auf den Weg, aus dem Hamsterrad auszusteigen und das zu finden, was sie wirklich glücklich und zufrieden macht. Insgesamt eine sehr begrüßenswerte Entwicklung, denn nichts verschafft eine derart große Befriedigung wie wenn man sein Leben dem Erforschen großer Fragen und Werte widmet und dazu den Pfad des Suchenden einschlägt. Wenn dieser Weg mit bedingungsloser Leidenschaft verfolgt wird, so bereichert man sein Leben, sodass es ständig von aufregenden Gefühlen und Drama geflutet und nie langweilig wird. Dazu ist es aber ganz wesentlich, dass die Suche nicht unnötig verkürzt wird, weil man sich der irrigen Illusion hingibt, nun tatsächlich angekommen zu sein. Daher muss man wirklich aufpassen, dass man nicht auf Gurus reinfällt, die gefährliche Sätze wie „Es ist schon alles da, was du brauchst“ oder „Das, was du sucht, findest du nur in dir“ lehren.

 

Eine richtig gelungene Suche fühlt sich an wäre man draußen auf einem weiten Feld im Winter mit einer ganz kleinen Flamme: Die scharfen Winterwinde peitschen um einen herum, es ist dunkel und eiskalt und der einzige Gedanke ist es, das Feuer am Brennen zu halten. Immer wieder überkommt einen die Verzweiflung, wenn die Flamme nur noch leicht dahinglimmt, aber im nächsten Moment diese unheimliche Freude, wenn es wieder gelungen ist, die Flamme kurz vor dem Erlöschen doch wieder anzuzünden! Man taumelt von intensivem Schmerz zu himmelhohem Jauchzen und kann alle dazwischenliegenden Schattierungen ausgiebig erforschen – die höchste Form des Menschseins!

 

Historische und Aktuelle Vorbilder

Bereits in der langen Geschichte der Menschheit wurde immer wieder der Wert erkannt, ein wahrhaft Suchender und Sehnender zu sein. Millionen von Minnesängern erkannten, dass die Verehrung nur dann wirklich vollkommen ist, wenn sie auf eine Person gerichtet ist, die nur unter Auferbietung höchster Verführungskunst zu erobern ist. Dieses unvergleichliche Glücksgefühl, wenn nach stundenlangem Singen und Rezitieren im eisigen Schneeregen endlich das Objekt der Begierde auf dem Balkon auftaucht! Diese abgrundtiefe Trauer, wenn die Herzensdame nur ins Freie getreten ist, um die Fensterläden zum Schutz gegen den Krach draußen zu schließen! Aber halt! War da nicht ein leichtes Lächeln auf ihrem Gesicht, als sie sich umdrehte?? Das kann doch nur… das kann doch aber wirklich nur heißen, dass in Wirklichkeit heiße Liebe ihr Herz durchströmt und sie noch mehr erobert, erstürmt und Zeichen der Liebe als Beweis sehen möchte! Und mit verklärtem Ausdruck auf dem Gesicht machte sich der Minnesänger mit neuer Kraft daran, mit den schönsten und leidenschaftlichsten Liebesgesängen das Herz der Zielperson zum Schmelzen zu bringen – egal, ob es noch die ganze Winternacht oder das ganze Jahr oder vielleicht auch länger dauern sollte. Was für ein Leben voller Sinn und Hingabe!

 

Auch die Romantiker erkannten später, in welchen Genuß sich ein Leben verwandelt, wenn man sich bemüht, ein wahrhaftig Suchender zu werden. Und im Gegensatz zu den Minnesängern erklommen sie ganz neue Höhen der Suche: bei den Minnesängern kam es in Einzelfällen vor, dass die unerreichbare Verehrte ihre eigentliche Bestimmung vergaß und plötzlich in Liebe entbrannte – was für eine Enttäuschung, Suche zu Ende, Sinn dahin! Die Romantiker dagegen gingen auf Nummer sicher und suchten nach der magischen blauen Blume, die zum Glück nur in der Johannisnacht zu finden war. Das bedeutete 364 Tage im Jahr ungefährdete glückliche Suche und nur für eine Nacht die Möglichkeit, dass das wunderbare Leben im ewigen Suchmodus enden könnten. So wanderte man das ganze Jahr durch das Leben und holte sich mal hier, mal da Anregungen, wo die Wunderblume zu finden sein könnte, um dann kurz vor Johannis voller Vorfreude an genau diesen Orten zu suchen. Zum Glück lag man ja meistens mit den Vermutungen falsch, aber es gab schon auch den Fall, dass man sich wider Erwartens nach dieser Nacht dann wirklich mit einer blauen Blume in der Hand am Ziel der Glückseligkeit wähnte. Da es aber eine Menge Blumen gab, die der Wunderblume täuschend ähnlich sahen, war es sehr erleichternd für die Romantiker, dass sich im hellen Tageslicht dann doch meistens herausstellte, dass es sich um eine dieser billigen Kopien handelte. Nur wenige unglückliche Romantiker fanden wirklich mal die Wunderblume – unnötig zu sagen, dass sie danach an den hier beschriebenen Freuden der Suche nicht mehr teilhaben konnten, es sei denn, sie konnten es einrichten, die Wunderblume mal irgendwo glücklich… ähm… unglücklicherweise zu verlieren.

 

Völlig unverständlich kam das Romantiker-Ideal der Suche mit der Zeit ein wenig aus der Mode, um aber erfreulicherweise mit den Blumenkindern wieder ins allgemeine Bewusstsein zu treten: befeuert durch die Globalisierung sind seitdem Unmengen von Nachfolgern der Romantiker auf der Suche nach Orten, an denen ihre größten Wünsche endlich Wahrheit werden können. Blaue Blumen sind inzwischen out, aber wenn man die Suchenden heute fragt, wird man häufig hören, dass sie nach einem sinnvollen Leben suchen, einem Ort, wo sie dafür geliebt werden, wer sie sind. Wo die ganzen unschönen bösen Dinge der Welt ganz weit weg sind und die fiesen Konzernchefs höchstens noch als Bösewichter in den Geschichten am Lagerfeuer auftauchen. Ja, und solche Orte sind sehr selten und auch die Plätze an diesen Orten sind limitiert und es gibt auch hier wie bei den Romantikerblumen Kopien, die dem gewünschten Ideal fast aufs Haar gleichen und bei denen man glaubt, dass man nun endlich angekommen wäre. Aber auch hier stellt sich meist nach wenigen Monaten bis Jahren heraus, wenn man sich geirrt hat und schon breitet sich die süße Vorfreude auf die weitere Suche im ganzen Körper aus: „Ach, das war doch alles Mist hier. Aber ich habe im Lonely Planet gelesen, dass da im Dschungel von Jakarta eine Community ist, die sich dem wahren Leben verschrieben hat – das Ticket ist gebucht!“

 

Nun muss man aber nicht gleich in der Weltgeschichte herumreisen, schließlich gibt es seit 2020 diverse gesellschaftliche Gründe, die dagegen sprechen, die Suche tatsächlich auch global auszudehnen. Die gute Nachricht ist, dass man selbst mit geringsten Mitteln und Aufwand sein Leben auch lokal der Mission ewiger Suche widmen kann. Nachfolgend ein paar Ideen, wie man das in sein praktisches Alltagsleben integrieren kann.

 

Herkunft und Prägung

Besonders erfolgreiche Suchende wurden bereits in ihrer Kindheit auf ihre wichtigen Aufgaben vorbereitet. Idealerweise wurden sie in ihrer Familie bereits in jungen Jahren darin bestärkt, dass das, was sie sind und haben, nicht ausreicht und sie für viel Größeres und Besseres vorgesehen sind. Sollte man seinen Kindern diesbezüglich den Forschungsdrang in die Wiege legen wollen, so bietet sich an, dass man sie jederzeit darauf aufmerksam macht, was das Umfeld alles besser kann: dieser Freund ist viel geschickter beim Bauen von Sandburgen, jene Freundin malt viel schönere Bilder und überhaupt sind alle anderen auch viel braver. Man sollte auch darauf achten, dass die Vergleichsfelder altersgerecht weiterentwickelt werden: sobald die Kinder ins Schulalter eintreten, bietet sich an, dass man dann jeweils die aktuellen Schulfächer als Maßstab integriert. Besonders natürlich die Themen, bei denen das Kind sich schwerer tut, sind eine wahre Goldgrube, denn schließlich soll der Nachwuchs ja dort besonders animiert werden, sich zu verbessern. Bei manchen Kindern ist das wirklich schwer, wenn sie wenige Schwächen in der Schule haben, aber da muss man halt kreativ werden: irgendwas findet sich bei jedem Kind, vielleicht bei Hobbies oder sonstigen Verhaltensweisen, bei denen man ein Einfallstor finden kann, um bei dem Kind den beständigen Wunsch nach einem besseren – oder gleich dem besten! - Zustand erwecken kann.

 

Ganz wichtig ist, dem Kind nicht zuviel zu erklären – insbesondere nicht, warum es bestimmte Gefühle hat oder wie es lernen kann, mit Reaktionen aus der Umwelt umzugehen. Wir wollen ja schließlich den kleinen Forscher gleich damit konfrontieren, wie es ist, wenn man in einer komplexen Welt lebt und niemand einem hilft, damit zurecht zu kommen – erleben wir ja schließlich auch jeden Tag. Irgendwann wird auch der Nachwuchs als erwachsener Mensch genau in dieser Situation sein und man kann ja nie früh genug mit Training anfangen. Natürlich ist das ein schmaler Grat und wenn das Kind zu verzweifelt ist oder sich sogar traut, direkt nachzufragen, dann sollten wir ihm einfach unsere Lösung zu seinem Problem in knappen Zügen umreißen und ihm auch deutlich zu verstehen geben, dass es ja wohl total einfach war, auf diese Lösung zu kommen. So ist es ja schließlich in der Welt, die Lösungen liegen ja normalerweise immer ziemlich auf der Hand: was für eine Freude, spielerisch dem Nachwuchs das Leben verständlich gemacht zu haben. Und schließlich kennen wir von allen Menschen unser Kind ja auch am genauesten und wissen ganz genau, wie es ihm geht und mit welchen Problemen es sich beschäftigt. Irgendwie sind wir ja echt auch ein bisschen neidisch, dass unsere eigenen Eltern sich nicht so viele Gedanken gemacht haben, wie sie uns pädagogisch wertvoll an eine Karriere als Suchende heranführen könnten.

 

Es gibt natürlich auch heute noch Eltern, die das Wohl ihrer Kinder nicht als oberste Priorität setzen und die durch ihre Vorbereitung auf das spätere Leben nicht das Feuer der Such-Leidenschaft in ihren Kindern entzünden. Sie bestätigen das Kind zuviel darin, eigene Erfahrungen zu machen statt sich zunächst mal im Außen zu orientieren, sie lassen es eigene Gedanken entwickeln im Irrglauben, dass es dem Kind dann später leichter fallen wird, seinen Platz zu finden. Aber auch für diese benachteiligten Kinder besteht Hoffnung: Sollte man selber keine vorbildlichen Eltern gehabt haben, kann man das immer noch später nachholen. Für Vergleiche kann man sich je nach Neigung einen Stapel Frauen- und/oder Männerzeitschriften kaufen und eingehend studieren, Bewertungsshows z.B. zum Thema Kochen, Mode und Kinder- bzw. Hundeerziehung im Fernsehen anschauen oder in Erfahrung bringen, wieviel der Kollege verdient, der wirklich immer nur mit Kaffeetasse auf dem Gang anzutreffen ist. Inzwischen gibt es glücklicherweise auch zu jedem Bereich zertifizierte Experten, sodass man sich davon überzeugen kann, dass man eigentlich nichts weiß und am besten auch nichts eigenständig beurteilt, sondern besser immer gleich jemanden fragt, der sich auskennt. Mehr dazu auch in den Anregungen zum Umfeld, dass man sich für optimale Unterstützung bei der Suche schaffen sollte.

 

Egal, ob man wirklich bemühte oder nur gering fördernde Eltern hatten: Man findet auf jeden Fall immer zumindest einzelne Situationen, in denen die Eltern sich absolut vorbildlich verhalten haben, um die Neigung zum Suchenden zu fördern. In jedem Fall sollte man im Rückblick bemüht sein, vor allem diese Situationen immer wieder zu durchleben und um Himmels willen alles zu verdrängen, wo einem die Eltern das Gefühl gegeben haben, dass man schon selber weiß, was richtig ist und man sich vertrauen kann. Die Forschungsreisen, die man in späteren Jahren unternimmt, verlieren einen großen Teil ihres Reizes, wenn man glaubt, in sich selber einen Kompass zu haben, der einen schon führen wird. Am meisten hat man später davon, wenn man sich immer ein bisschen vorkommt wie beim Versteckspielen: Augen verbunden, mehrfach um sich selbst gedreht und dann in einer völlig unbekannten Umgebung ausgesetzt – ein bisschen Herausforderung soll ja schließlich auch dabei sein.

 

Persönliche Eignung

Gewisse Persönlichkeitszüge sind definitiv förderlich, wenn man sich dem erlauchten Kreis der wahrhaften Forscher anschließen möchte. Nachfolgend wird hier am Beispielfall einer Suchexpedition dargelegt, welche persönlichen Charaktermerkmale und Reaktionen das Sucherlebnis in allen Facetten plastischer und intensiver gestalten zu können. Und nicht verzagen, alles dies wird mit wachsender Erfahrung immer leichter von der Hand gehen.

 

Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch! Wenn man sich für die ewige Suche entscheidet, gehört man mit hoher Wahrscheinlichkeit zu den Menschen, die mit viel Kreativität und Phantasie gesegnet sind und die fähig sind, mithilfe ihres scharfen Verstandes komplexe intellektuelle Luftschlösser völlig aus dem Nichts zu erschaffen. Mit diesen Luftschlössern kann man das Nirwana oder auch die Köpfe der Mitmenschen komplett zupflastern. Erschöpft von dieser geistigen Leistung kann man dann zur Entspannung etwas mitleidig diejenigen beobachten, die mit so Banalitäten wie drei selbst angebauten Karotten oder einer gemeinsamen Aufräumaktion des Dorfplatzes versuchen, etwas zu verändern – so wird man das Wahre, Schöne und Echte in der Welt ganz sicher nicht finden, da sind schon große Schritte nötig! Oh – und schon hat man sich wieder ertappt bei so fiesen Gedanken und eine Welle Schuld und schlechtes Gewissen schwappt herein. Wunderbar – genau das ist ja das Ziel der Suche, immer wieder möglichst extreme Gefühle zu erleben: Häkchen, wir sind auf dem richtigen Weg! Um das auch voll auszukosten, kann man sich als Anregung daran erinnern, dass man ja eigentlich auch gemocht werden möchte und dass diese Art von Gedanken ja nun wirklich nicht dazu beiträgt, dass man das erreicht. Trauer und ein bisschen Abneigung gegen sich selbst stellen sich ein – und Aktionismus! Da muss jetzt aber wirklich was passieren, ein Plan, wie man sich selbst optimiert und damit idealerweise auch direkt die Erde oder besser gleich das ganze Universum rettet.

 

Ok, gesagt, getan - ein guter Plan braucht immer auch eine fundierte Analyse: ein bisschen Begabung in diesem Umfeld kommt dem Suchenden zugute. Notfalls kann man an dieser Stelle vielleicht noch ein paar Übungen für das logische Denkvermögen einbauen, Sudoku oder Rätsel zum Kombinieren sind perfekt geeignet. Als erstes beginnt man nun sich selbst abzuscannen, was denn vermeintlich die größte eigene Schwäche ist. Als Beispiel: Als sehr direkter Mensch kann man sich klarmachen, dass Einfühlsamkeit und Diplomatie eher so mittelmäßig ausgeprägt sind. Aber auch Menschen, die diese Schwächen leider nicht haben, müssen nicht hadern: Das Vertreten von klaren Meinungen und das Achten auf eigene Bedürfnisse sind alternativ auch sehr gut als gleichwertig schlimme Schwachstellen geeignet. Nun fängt man an, sich glaubhaft zu versichern, dass man ja nun wirklich nicht geliebt werden kann, wenn man diese ausgesuchte Fähigkeit nicht beherrscht – und noch viel besser: man kramt in der Erinnerung, wann einem das schon mal Kritik von Freunden, Familie oder sonstigem Umfeld begegnet ist. Ein gutes Erinnerungsvermögen leistet hier gute Dienste, alternativ kann man aber hier auch wieder Phantasie und ein Talent im Interpretieren im gewünschten Sinne einbringen.

 

An dieser Stelle sollte man sich am besten mindestens 10 Bücher zu dem spezifischen Thema kaufen und sie alle lesen, um auch wirklich über die zugrundeliegenden Theorien informiert zu sein.Schnelles Lesevermögen kann man sich in speziellen Kursen auch antrainieren. Wichtig ist, dass man sich in jedem Fall schnell das Wissen und die Werkzeuge anderer aneignet, schließlich gab es ja schon eine Menge Menschen, die an dieser Stelle standen und da sollte man die Synergieeffekte nutzen. Auf keinen Fall sollte man sich auf sein eigenes Gefühl verlassen oder kritische Stimmen von Freunden ernst nehmen, die darauf hinweisen, dass man sich da vielleicht auch etwas zuviel Inspiration von außen holt.

 

Das allerwichtigste, aber auch am besten trainierbare Werkzeug des Suchenden ist der Perfektionismus, der an dieser Stelle auch gleich seinen vollen Glanz entfalten kann: Es reicht nicht aus, nur ein bisschen einfühlsamer, durchsetzungsfähiger oder was auch immer zu sein. Nein, man muss dann schon auch die Meister in dieser Zunft erreichen und zwar am besten sofort. Nur Anfänger in der Kunst der Suche würden sich mit weniger zufrieden geben, denn dann würden sie die nun einsetzende Hoffnungslosigkeit nicht erleben können. Eine schwarze Wolke von ussichtslosigkeit, Hadern mit der Ungerechtigkeit der Welt, dass man nun gerade  diese Fähigkeit nicht mitbekommen oder gelernt hat im Gegensatz zu ALL den anderen Menschen auf der Welt, die das einfach so geschenkt bekommen haben. !! An dieser Stelle übrigens ein Wort der Warnung !!  Den vollen Genuß der Unzulänglichkeit kann man sich wirklich verderben, wenn man sich bewusst macht, was für Stärken man hat und wofür man von anderen Menschen geliebt und gelobt wird. Und die Ungerechtigkeit fühlt man besonders, wenn man vor sich verleugnet, dass es tatsächlich andere Menschen geben könnte, die auch keine Naturtalente in der angestrebten Disziplin sind.

 

Sobald man nun erstmal ein paar Minuten, Stunden oder vielleicht auch länger vor sich hingelitten hat und der Schmerz langsam ein bisschen schwächer wird, kommt es nun endlich dazu, dass man sich einen Schlachtplan erstellt. Am besten schriftlich nun mindestens eine A4-Seite mit Ideen und Ansätzen füllen, wie man das Problem angeht, vielleicht auch noch das Umfeld und externe Experten einbinden und die Welle von Motivation reiten: „Endlich wird hier mal was getan, ich bin nicht ausgeliefert, nun wird endlich alles gut!“ Voller Hoffnung dann auf der Couch bei Milchkaffee und einer Tafel Schokolade die Vorstellung genießen, wie man dann ein wirklich liebenswerter Mensch wird, die Mitmenschen voller Erstaunen nach dem Erfolgsrezept fragen und die Welt spielend ein wunderbarer Ort voll glitzernder Einhörner, doppelter Regenbögen und Liebe zwischen allen Menschen wird.

 

Hach, so eine wunderbare Vorstellung – wie kann nur so etwas Schönes und Friedvolles aus Momenten voller Leid und Selbstkasteiung entstehen!? Völlig beseelt glaubt man nun sich nun der blauen Blume aus der Romantik nahe – sollte das wirklich so einfach gewesen sein? Langsam steigt leichte Panik hoch, dass hier vielleicht die Suche schon zuende sein könnte – bis man sich erinnert, dass man nun die Erkenntnisse ja zunächst in der Praxis anwenden sollte, um zu prüfen, ob man wirklich schon angekommen ist. Aber mit was anfangen? Am besten mit allem auf einmal! An dieser Stelle sind Geduld und Ausdauer Charakterzüge, die man schleunigst ablegen sollte, hier geht es schließlich um Effizienz und schnelle Resultate. Als Test könnte man beispielsweise die Konfrontation mit einem Mitmenschen suchen, bei dem die Anwendung der gewünschten Eigenschaft besonders schwer fällt. Also vielleicht jemanden, dessen Welt so fremd und den eigenen Werten widerstrebend ist, dass man bisher noch nicht mal einen Anflug von Einfühlsamkeit aufbringen konnte. Oder einen Menschen, der einen immer um den Finger wickelt, und bei dem man dann zeigen kann, wie sehr man nun aber konsequent seine eigenen Bedürfnisse vertritt und allen Bitten widersteht. Habe ich schon erwähnt, dass Kreativität eine ganz wesentliche Eigenschaft ist, um ein herausragender Suchender zu werden?

 

Wichtig ist natürlich auch, dass man seine Mitmenschen ausführlich über den Plan in Kenntnis setzen sollte, bevor man zur Tat schreitet. Wenn man sein Umfeld jedoch nicht schon bereits sehr sorgfältig ausgewählt und gestaltet hat, kann es durchaus sein, dass einige überkritische Mitmenschen darauf hinweisen, dass man vielleicht erstmal mit kleinen Schritten anfangen sollte. Na, die haben ja eine Ahnung, wir haben doch hier keine Zeit auf der Welt, um alles erst klein klein anzufangen! Mit glänzend poliertem Schwert und Schild reitet Jeanne d‘Arc also in den Sonnenuntergang, um nun endlich die eigenen Unzulänglichkeiten zu besiegen, mutig, unbeirrbar und dazu spielt eine Fanfare „Conquest of Paradise“.

 

Zeitsprung. Es ist Nacht. Im Unterholz humpelt eine müde Gestalt mit diversen Schrammen gelegentlich schluchzend, schmutzig und mit zerrissenen Kleidern heran. „Jeanne, bist du das etwa? Was war los?“ Eisiges Schweigen als Antwort. 

 

Ja, für Suchende, die den richtigen Weg eingeschlagen haben, werden diese Momente immer wieder kommen – sie sind eine Bestätigung, dass alles gut läuft. Nach dem Wundenlecken und dem Rückzug aus der Welt für eine Zeit kristallisiert sich immer mehr eine Erleichterung heraus: Na, zum Glück war das noch nicht das richtige Ziel, die blaue Blume wartet immer noch irgendwo da draußen auf mich. So langsam hat sich auch das angeschlagene Ego wieder erholt und mit der erneuten Produktion von Luftschlössern begonnen: es ist wieder Zeit für Philosophieren und Theorien erörtern mit allen, die es hören möchten (oder auch nicht)! Und damit ist ein Zyklus der Suche abgeschlossen und eine neue Mission kann geplant werden. Wie wäre es das nächste Mal mit der Idee, dass Auswandern der nächste Schlüssel zum Glück ist? Oder vielleicht ein neuer Job?

 

Mit dem hier aufgezeigten Muster und den hervorgehobenen Charaktereigenschaften hat man die Chance, über die Jahre immer besser in der Suche zu werden, ein wirklicher Meister. Jede Mühe lohnt sich hier und so schön das klingt: der Weg kann niemals das Ziel sein, denn erst das Erreichen des Ziels wird das versprochene Glück bringen. Apropos Ziel, auch da kann man bewusst daran arbeiten, die höheren Weihen der Philosophie des Suchens zu verstehen und zu erlangen.

 

Grundphilosophie

Mit der Zeit wird der Suchende bemerken, dass sich ein ganz bestimmtes Weltbild ausbilden wird. Immer deutlicher wird man bemerken, dass alles, was man gerade im Jetzt erlebt, nicht das ist, wo und wie man eigentlich sein will. Irgendwas fehlt da immer: man selber ist nicht so, wie man das erwartet, auch der Job ist eintönig und sinnlos. Egal, welche Menschen um einen herum sind, so richtig fühlt sich auch das nicht an. Vielleicht hat man eine Familie und will einfach nur seine Ruhe. Oder ein größerer, bunterer und interessanter Freundeskreis wäre das  erstrebenswerte Ziel, wenn man viel Zeit allein verbringt. Aber natürlich dann bitte auch Leute, die wissen, wann sie stören. Wenn man in der Stadt wohnt, dann fehlen wirklich Bäume und Natur, aber im Dorf ist ja nun wirklich gar nichts Kulturelles los und ein Kino gibt es da auch nicht.

Je besser man in seiner Wahrnehmung geschult ist, desto mehr Diskrepanzen zwischen Wunsch und Realität werden einem auffallen. Es ist als durchaus als positiv zu bewerten, wenn die Liste an solchen Punkten mit der Zeit immer länger wird.

 

Das Grundelement in der Philosophie eines Suchenden ist die felsenfeste Überzeugung, dass es irgendwo „da draußen“ einen Platz gibt, wo man genau hingehört und einfach alles perfekt ist. Genau passende Leute, die einen dafür lieben, wie man ist, sodass man nicht ständig Schlachtpläne entwickeln muss, wie man anders werden kann. Ein Ort, wo man alles einfach so geschenkt bekommt, was man so zum Leben braucht, idealerweise auch ohne dass man genau weiß, was das sein könnte. Durch eine magische telepathische Manifestation taucht einfach alles auf, wie man es dann als perfekt empfindet. Immer Sonnenschein, wenn man gerade Lust auf einen Spaziergang in der Natur hat und Regenschauer, wenn die Gurken und Veilchen im Garten drohen zu vertrocknen. Kein Müll im Wald, kein Ozonloch, keine gierigen Kapitalisten, halt Friede, Freude, Eierkuchen. Ein Platz, den man dann auch nie wieder verlassen muss und der immer so wunderbar bleibt wie an Tag 1. Und dass man diesen Platz noch nicht gefunden hat, liegt nur daran, dass man noch nicht an der richtigen Stelle gesucht hat. Und ist ja wohl auch klar: die Leute, die da schon wohnen, werden sicher keine Anzeige schalten oder als Nummer 1 in den Google-Suchergebnissen nach „perfekter Platz“ auftauchen – schließlich muss man sich schon etwas bemühen, um diesen Ort ausfindig zu machen. Sonst kommen ja am Ende noch all die Leute dahin, die nun wirklich bei weitem nicht soviel Herzblut in die Suche stecken wie man selber, nee, da muss man sich echt auch mal reinknien!

 

Mit steigendem Lebensalter hört man auch als Suchender die biologische Uhr ticken: „Tick, tack, tick, tack, noch 35 Jahre, um den perfekten Ort zu finden, 35 Jahre verdaddelt, tick, tack, tick, tack“. So verfliegen die Jahre und auch der Suchende hetzt von Ort zu Ort, von Mensch zu Mensch, von Job zu Job und wird immer effizienter in der Erkennung, dass dies nun auch nicht das Richtige war. Hätte man früher gewusst, dass so viele Dinge darauf geprüft werden müssen, ob sie nun wirklich passen, so hätte man sich bestimmt nicht mit 20 verschwenderische 2-3 Jahre gegeben, um etwas auszuprobieren. Wie gut wäre es damals gewesen, man hätte schon diese hilfreiche Checkliste im Kopf gehabt, die es einem ermöglicht, schon nach einer Woche die grundsätzlichen Mängel zu erkennen. Ja, rückblickend würde man sich wirklich wünschen, man wäre schon immer so weise gewesen wie jetzt. Oder vielleicht so weise wie in 20 Jahren, wo man dann vielleicht auf einen Blick erkennt, dass etwas nicht passt. Aber so ist das eben, auch als Suchender braucht man viel Erfahrung, um wirklich gut in seinem Wissensbereich zu werden. 

 

Neben Erfahrung ist auch Ernsthaftigkeit ein ganz wesentliches Rüstzeug in der Philosophie eines Suchenden: Auf keinen Fall dürfen Freude oder eine selbstgefällige Zufriedenheit den Blick trüben, dass man hier auf der Suche nach etwas ganz Großem ist. Die Effizienz im Aussortieren, die man über all die Jahre gewonnen hat, kann nicht ausgespielt werden, wenn man sich einem Muße-Moment in Freude hingibt und dann unnötig Zeit verschwendet. Ein bisschen Druck und das ständige Wälzen derselben Fragen („wo finde ich verdammt nochmal diesen Platz eigentlich?“) immer und immer wieder steigert die Erfolgsaussichten der ewigen Suche enorm, bloß kein Leerlauf. Und vom Anblick von Menschen, die einfach nur gechillt im Garten hocken und belanglosen Smalltalk austauschen, sollte man sich auf keinen Fall von seiner Mission abbringen lassen – im Gegensatz zu denen will man schließlich auch mal wo ankommen. Was zum nächsten ganz wichtigen Punkt führt: ganz wesentlich ist das Schaffen eines passenden Umfelds, das einen optimal bei der wunderbaren Berufung zum Suchenden unterstützt.

 

Umfeld

Die richtigen Menschen werden einen immer in der Suche unterstützen. Nachfolgend werden die wichtigsten Typen von Menschen beschrieben, die jeder Suchende um sich herum zur Stärkung scharen sollte. Jeder weiß, wie gut sich Unterstützung durch Freunde und nahe Menschen anfühlt. Und wer weiß, vielleicht kann man sogar noch den einen oder anderen inspirieren, sich ebenfalls auf den fordernden, aber befriedigenden Weg der Dauersuche zu machen?

 

Ganz wichtig sind Menschen, die nach eigener Aussage den perfekten Ort zumindest schon mal besucht oder davon geträumt haben und die sehr deutlich machen, dass sie genau wissen, wo im Universum Wunderblumen wachsen – zumindest theoretisch. Im Grunde sind dies die erwachsenen Pendants zu vorbildlichen Eltern, die ihren überforderten Kindern dann doch mal ein paar grob umrissene Lösungsideen zukommen lassen. Diese Art von Menschen braucht eigentlich keine Beschreibung des Problems, da sie sofort aufgrund ihrer großen Erfahrung wissen, wo der Kern des Problems liegt. Oft handelt es sich bei ihnen um schon fortgeschrittene Suchende in der Luftschloss-Phase. Sollte der angehende Suchende ein merkwürdiges Gefühl im Umgang mit diesen Menschen haben oder glauben, dass diese Menschen noch gar das Problem verstanden haben: ein bisschen Demut wäre wirklich mal angemessen, schließlich handelt es sich hier um ausgewiesene Experten! Stattdessen wäre ein bisschen Dankbarkeit angebracht, schließlich bekommt man hier ja schon ein voll ausgearbeitetes Lösungskonzept und hat damit eine echte Chance, endlich dem angestrebten Ort der Glücksseligkeit und Perfektion näherzukommen.

 

Gerade in jungen Jahren brauchen Suchende genug warnende Stimmen im näheren Bekanntenkreis: Menschen, die aufpassen, dass man keine unnötigen Risiken eingeht. So sehr ein Suchender seine Kreativität im Rahmen der Suche gewinnbringend einsetzen kann, so sehr kann sie auch im Wege stehen, wenn plötzlich so abstruse Ideen kommen wie der Ausstieg als freiberuflicher Künstler oder ohne neuen Plan den abgrundtief gehassten Job zu kündigen. In jedem Fall sollten wohlmeinende Freunde in diesem Fall dem verirrten Suchenden in schillerndsten Farben darstellen, in was für Gefahren er sich begibt und mit drastischen Worten deutlich benennen, wie schlimm das ist, wenn man irgendwann ohne Rente da steht oder wie kalt es im Winter unter Brücken sein soll. Der perfekte Platz muss schließlich auch ohne Eingehen von Risiken zu finden sein, sonst wäre er ja wohl auch nicht perfekt, richtig? Im besten Fall lässt der Suchende ohne nennenswerten Widerstand von den destruktiven Ideen ab. Besonders rebellische oder unerfahrene Suchende werden sich vielleicht trotzdem in den Abgrund stürzen, aber mithilfe der wiederholten Warnhinweise schnell erkennen, dass dies nun wirklich nicht der richtige Weg war. Ein versöhnliches „Hab ich ja gesagt, dass das nicht klappt“ hilft dem Abtrünnigen, wieder gut auf dem Pfad der Vernunft anzukommen und zukünftig etwas umsichtiger in seinen Entscheidungen zu sein. Beim nächsten Mal sollte der Suchende dann seine hilfreichen vorsichtigen Berater einfach viel früher einbinden, sodass man gemeinsam Gründe finden kann, warum etwas nicht klappen wird und die Gefahren schon frühzeitig erkennen kann. Suche heißt ja schließlich am Ende auch nicht, dass man sich ohne ausreichenden theoretischen Hintergrund und ein bombenfest konstruiertes Sicherheitsnetz völlig neuen Erfahrungen aussetzt.

 

Besonders in der hoffnungslosen Phase sind Menschen Gold wert, die sich die Klagen und Schmerzen der besiegten Jeanne d‘Arc geduldig anhören und bestätigen, dass die Welt ganz schrecklich ist. Dass man immer verliert, egal, wie man sich anstrengt. Dass es eh nichts bringt, sich aufzulehnen, da nur die einflussreich Geborenen überhaupt die Chance haben, etwas zu verändern. Dass es normal ist, wie es ist und nur Sisyphos auf so verrückte Ideen kommt, das nicht zu akzeptieren und mit irgendwelchen sinnlosen Versuchen am Ende doch wieder am selben Punkt zu landen. Der Suchende ist in dieser Phase besonders sensibel und schrammt dicht am Rande der Depression entlang und da tut ein aufmerksamer und duldsamer Zuhörer unheimlich gut, der bestätigt, dass man ein armes Opfer ist. Und dem Zuhörer tut es gut, dass es da jemanden gibt, dem es sogar noch schlechter geht und dem man uneigennützig helfen kann. Sobald Jeanne d‘Arc alle Wunden versorgt hat, das Pferd wieder eingefangen und das Schwert mit Essigessenz von allen Flecken befreit hat, werden sich die gemeinsamen Weg mit dem Zuhörer zunächst wieder trennen - aber solange der Kreislauf der Suche nicht unterbrochen, werden sich diese beiden immer wieder gut ergänzen.

 

Eine perfekte Ergänzung zum Menschen auf der ewigen Suche sind natürlich andere Menschen mit dem gleichen Ziel: hier ist es nur wichtig, sich in den Phasen zu synchronisieren, um die emotionale Ausbeute für alle zu maximieren. Das bedeutet zum Beispiel, dass Suchende sich gegenseitig goldene Zwiebeltürmchen und Feng-Shui-Gärten in die opulenten Visionsbilder einbauen können, wenn sie gleichzeitig in der Phase des Luftschloss-Bauens sind. In der Phase des Haderns können gemeinsam tiefschwarze Katastrophenszenarien entworfen werden, wie man dann einsam, krank und abgemagert bis auf die Knochen enden könnte. Wer jemals mehrere Suchende in solchen Win-Win- bzw. Lose-Lose-Situationen erlebt hat, weiß, wie dadurch in der Gruppe einmalige Höhenflüge des Gefühlserlebens möglich werden können.

 

Es gibt natürlich auch Menschen, die überhaupt nicht förderlich für die Meisterung der hier angestrebten Kunst der Suche sind:

  • Menschen, die so aussehen, als würden sie den Weg zur Glücksseligkeit leben, aber dann unerhörterweise zugeben, dass auch sie noch schlechte Tage haben oder auch bei ihnen nicht alles perfekt ist.
  • Sogenannte Freunde, die dazu auffordern, Verantwortung zu übernehmen, die beste Version von sich selbst zu werden und/oder dankbar für das Jetzt zu sein.
  • Menschen, die merkwürdige Ideen davon haben, dass man geliebt werden kann, obwohl man noch so schrecklich unvollkommen und fehlerhaft ist.
  • Menschen, die sich weigern, Pläne zunächst theoretisch abzusichern und stattdessen viel zu früh zu ersten Handlungen aufrufen, ohne zu wissen, was dann als nächstes passiert.

Nein, solche Menschen sind es nicht, die zur permanenten Suche beflügeln und motivieren, möglicherweise führen sie zu dem wirklich nicht erstrebenswerten Zustand, dass man plötzlich zufrieden ist und ganz die Freuden einer immer wieder neu beginnenden Suche vergisst. Stattdessen sollte man sich immer daran erinnern, dass man erst am perfekten Platz und als perfekter Mensch wirklich angekommen ist.

 

Fazit

Zeit für Aktionismus! Dies sind ja nun Anregungen, die sogar mehr als eine A4-Seite umfassen - worauf wartest du also noch? Willst du nicht auch einer dieser besonderen Menschen sein, die die nicht zu stillende Sehnsucht haben, endlich anzukommen und keinen Aufwand dafür scheuen? Die nach jeder fehlgeschlagenen Mission das Feuer der Suche wieder anfachen und sich schließlich ohne kalte Winterwinde gar nicht mehr wohlfühlen? Sei willkommen im Kreis der ewigen Glücksritter!

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