Wir planen und planen, alle Mögliche, bis ins letzte Detail. Sicher, dass alles überschaubar ist, dass wir die Kontrolle haben. Bis zum neuen Job, bis zur Rente, vielleicht auch erstmal nur bis zum nächsten Urlaub. Und dann zuckt das Leben mal kurz und beiläufig mit der Schulter. Alles anders, von jetzt auf gleich, ohne Vorwarnung. Das, was gestern so stabil, so sicher, kurzum ewig erschien, ist plötzlich nur noch eine Staubwolke in der Brise, nur eine diffuse Erinnerung an unsere Welt von gerade eben. Das ins Mark gehende Erschrecken angesichts der Erkenntnis, dass uns nichts für immer versprochen ist, selbst wenn wir das eigentlich "wissen". Dass wir dahintreiben auf den Wellen des Lebensozeans, vorangetragen von einer immensen Strömung, gegen die keine noch so starken Schwimmerarme ankommen. Wenn der Himmel sommerblau ist und der Ozean träge dahinplätschert, ist es eine lustige Bootsfahrt. Selbstbewusst steuern wir in Richtung der Sonne am Horizont, stolz auf unsere Fähigkeiten als Kapitän; gewiss, dass wir unseren Kurs beibehalten können. Und dann wacht das Meer auf, Schaumkronen auf den Wellen und plötzlich wird klar, dass wir nur vertretungsweise mal das Steuer in der Hand hatten. Unseres Ruders beraubt, starren wir fassungslos auf völlig neue Wege, auf die wir gelenkt werden. Im Rückspiegel das Vertraute, was sich in rasender Geschwindigkeit entfernt, schlagartig die Erkenntnis, dass es dorthin nie wieder zuückgeht. Das Bedauern, Orte, Personen, Umstände oder uns selbst von früher viel zu wenig gewürdigt zu haben. Zu spät, es ist nicht zu korrigieren...
Wir sind so durstig nach Leben und können doch nie alles trinken, in uns aufnehmen, es nie komplett bis zum Letzten auskosten. Wasser mit neuem, aufregendem Geschmack wird im Laufe der Zeit zur Gewohnheit und heimlich beginnen wir uns zu sehnen nach etwas Neuem, nach exotischen Noten, nach dem Gras auf der anderen Seite. Und dann ist es da, das Neue, die Exotik... und das Bekannte verlässt uns. Plötzlich vermissen wir das, was uns vorher langweilig und fade erschien. Und plötzlich würden wir alles dafür geben, nur noch einmal den alten Geschmack auf der Zunge zu spüren, diesmal mit mehr Genuß, Wertschätzung, Dankbarkeit. Wir versuchen zu verhandeln und wissen doch, dass es unser Schicksal ist, immer weiter zu gehen. Nicht innezuhalten, rastlose Wanderer mit der Sehnsucht nach zuhause. Unser Weg wird immer wieder völlig unerwartete Biegungen machen und die Ohnmacht verlieren wir nur, wenn wir alles genießen, was wir JETZT haben. Aus vollem Herzen das lieben, was uns das Leben heute schenkt, so intensiv uns das möglich ist. Denn wir sind vielleicht am Ende nicht die Kapitäne, aber wir sind Surfer auf Wellen, die uns begegnen. Unsere Kunst ist es, die Wellen immer geschickter zu reiten, mitten im Moment zu sein, konzentriert auf das, was wir wahrnehmen. Mit Hingabe zu schmecken, zu fühlen, zu riechen, zu hören, zu sehen, in Freude verbunden mit all den Menschen, die uns etwas bedeuten. In vollem Bewusstsein, dass diese eine Welle endet, egal wie sehr wir sie genossen haben, und dann die nächste Welle uns - vielleicht - erwartet. Dass wir zwischen der Trauer über die vergangene Welle schon den Mut für die nächste entwickeln. Um am Ende satt, zufrieden, erfüllt zur Nacht hin am Feuer zu sitzen, zärtlich an all das zurückdenkend, was vielleicht inzwischen nur noch eine Erinnerung ist, ein leiser Hauch von Farbe im Abendhimmel.
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Ivan (Montag, 18 September 2023 23:04)
Wir verbringen den grösten Teil des Lebens mit Planungen und Abstrichen (Vorsorgen), um dann am Ende einen kleinen restlichen Abschnitt vielleicht zu genießen? Wenn überhaupt und dann ohne Kraft, weil man alles in die "Vorbereitungen" gesteckt hat...